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H R O N I K
Großbrand Down-Town 1985
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Es war im November 1985,
gegen 4.00 Uhr morgens in Ankum . . .
. . .
als ein älteres Gebäude mit Holzbalkendecke und
Holztreppe lichterloh in Flammen stand. Den Be-
wohnern, einem türkischen Ehepaar, blieb nur noch
der Weg durch das Fenster, um den Flammen zu ent-
kommen. Die Frau hatte sich dabei am äußersten
rechten der vier Giebelfenster bemerkbar gemacht.
Die einzige Möglichkeit der Rettung bot die Drehlei-
ter, die aus Nortrup zur Unterstützung dazugekom-
men war. Gemeinsam mit dem Leitermaschinisten
fuhr ich nach oben. Die starke Rauchent-
wicklung nahm uns jede Sicht. Es war schier un-
möglich, das richtige Fenster anzusteuern. Selbst der
starke Scheinwerfer am Leiterkorb schaffte keine
Sicht. Immer wieder stießen wir irgendwo ans Mau-
erwerk. Entweder waren wir zu hoch, zu tief oder
am falschen Fenster. Die Zeit lief uns davon – wert-
volle Zeit, die den Bewohnern fehlte, um zu überle-
ben. Unser Scheitern würde den Tod der Menschen
bedeuten.
Auf mir lastete ein ungeheurer Druck
Je länger es dauerte, desto größer wurde die Bela-
stung, es nicht zu schaffen. Der Gedanke, die Men-
schen müssten in den Flammen umkommen, war
schier unerträglich. Endlich – nach einer für mich un-
endlich langen Zeit sah ich das Fenster plötzlich vor
mir. Jetzt wusste ich, ich würde es schaffen. Rasch
sprang ich durchs Fenster in einen völlig dunklen,
verqualmten und überhitzten Raum. Mein Kamerad
im Leiterkorb sicherte mir den Rückweg. Dann ging
alles sehr schnell. In der Nähe des Fensters lag die
Frau auf dem Boden. Schnell packte ich sie und
hievte sie durch das Fenster in den Leiterkorb. Die
Suche nach dem Mann konnte nach kurzer Zeit ab-
gebrochen werden, da dieser auf seiner Arbeitsstelle
war. Es war höchste Zeit für den Rückzug, da die
Flammen- und Hitzeentwicklung immens war.
Zurück am Boden herrschte große Freude, Anerken-
nung und Erleichterung, dass alles gut gegangen
war und ich schickte einen kurzen Dank in den Him-
mel. Doch dann der Schock. Noch während unseres
Einsatzes kam die Nachricht, dass die Frau an den
Folgen einer Rauchvergiftung im Krankenhaus ge-
storben war. Schlagartig verwandelte sich die Freude
in Trauer und Schuldgefühle. Ich machte mir Vor-
würfe, zu viel Zeit für die Rettung benötigt zu haben.
Der Gedanke, die Frau hätte noch leben können,
wenn wir schneller gewesen wären, ließ mich nicht
mehr los und hat mich noch Jahre verfolgt.
Als Anerkennung für diesen Einsatz erhielt ich später
das Feuerwehrehrenkreuz. Doch auch diese Aus-
zeichnung konnte mein Gefühl der Mitschuld nicht
verdrängen.
Rückblickend muss ich sagen, dass die vielen Toten
und Verletzten, die ich bei Unfällen gesehen und ge-
rettet habe, mich nie so lange belastet haben, wie
dieser Einsatz in der Novembernacht 1985.
Menschenrettung im dichten Qualm über Drehleiter
Persönlicher Einsatzbericht
von Wilhelm Pellenwessel